Dieser Vortrag wurde am 7.5.2022 als Eröffnung auf der Tagung „Das Täufertum und die Freikirchen – Das täuferische Erbe und seine Bedeutung für die Gegenwart“ in Elstal gehalten. Für weitere Überlegungen siehe: https://zukunftspilgern.de/ – „Dialogisch denken und nach vorne glauben“ – Ein geschützter Erkundungsraum für christliche Spiritualität und Kirche von Morgen. Im Sinne eines Dialogischen Schreibdenkens dürfen dort zu den ausgeführten Gedanken gerne weitere Anmerkungen in die Kommentare geschrieben werden.
Einleitung
Zeitliche Einordnung: Die frühen Täuferbewegungen
- Das Andere denken lernen
- Sich konstruktiv verweigern
- Für das Gewaltpotential der Ganzheit sensibilisieren
- Das Dialogische einüben
- Offene Innenräume kultivieren
- Sich von innen her verbinden
- Schutzräume des Neuen initiieren
- Gottes Traum Gestalt werden lassen
- Rhizomatische Strukturen ausbilden
- Sich basisorientiert vernetzen
- Vertikale Ordnungen relativieren
- Dezentrierte Ausbreitung ermöglichen
Fazit
Als zukunftsweisend empfinde ich:
1. Wir brauchen mehr christliche Gemeinschaften, die sich von einer Eins-Logik verabschieden. Das beinhaltet: Sie halten das Andere aus – auch in ihrer Mitte. Sie vertreten die Gute Nachricht nicht fundamentalistisch übergriffig, sondern dialogisch und kontextuell. All das ist hochgradig anschlussfähig ist einer postmodernen Kultur.
2. Wir brauchen mehr christliche Gemeinschaften, die sich von jeglicher Art eines machtpolitischen Kirchenmodells distanzieren. Gemeinschaften, die eine wechselseitige Unterordnung strukturell realisieren möchten. Offene und gleichzeitig geschützte Innenräume, knollenartig und vernetzt, bestmöglich hierarchiefrei und unabhängig von Gebäuden.
3. Wir brauchen mehr christliche Gemeinschaften, die wieder neu die Bedeutung der Wir-Gestalt des Glaubens verstehen lernen. Bündnisstrukturen, die auf freiwilligen Selbstverpflichtungen beruhen und nicht mit immer neuen Events ein konsumorientiertes Einzelchristentum heranzüchten.
4. Wir brauchen mehr christliche Gemeinschaften, die erkennbar lebensfördernd und friedensstiftend wirksam sind. Gemeinschaften, die sich nicht nur als religiöses Biotop verstehen, sondern als ein himmlisch-humanes Ausbildungszentrum inmitten der großen Shalom-Geschichte Gottes.
Es gab eine Reihe von Nachfragen, ob es den Hörtext nicht auch als Buch geben könnte. Jetzt ist es so weit. In der Verschriftlichung findest du darüber hinaus Quellenverweise und ein ausführliches Literaturverzeichnis. Bestellbar bei Books on Demand: https://www.bod.de/buchshop/radikale-reformation-jens-stangenberg-9783744885355
Jede Gruppenbildung hat es mit mindestens vier Problemzonen zu tun: Identität und Abgrenzung, Regeln und Moralisierung, Rangordnung und Machtmissbrauch, Bewegungsrichtung und Entscheidungsgewalt. Welche Art von Bildern ist nützlich, um die Gestalt von Kirche zu visualisieren? Was wird bereits im Neuen Testament angedeutet? Wie ist es möglich, Fallgruben der Kirchengeschichte zu vermeiden? Und was können wir von „Schwarmformationen“ lernen?
Die Beschäftigung mit Personen und Themen der Radikalen Reformation hat mich verändert. Zuerst begeistert über alternative Denkansätze, dann genervt über dunkle Seiten der Kirche. Viel Gutes wurde schon früher gedacht, kam aber nicht zum Zuge. Das ist frustrierend. Und doch gibt es Anknüpfungspunkte, Gedanken von damals ins Heute zu übertragen. Es ist wichtig, sich mit den nonkonformistischen Strömungen verbunden zu fühlen und sich für eine Gestalt von Kirche orientiert an Jesus von Nazareth einzusetzen.
Der Begriff „Gemeindezucht“ hat einen rigorosen Klang. Leider ist die ursprüngliche Bannpraxis durch vielfachen Missbrauch in Verruf geraten. Grundlage ist ein Bibeltext aus dem Matthäus-Evangelium, Kapital 18. Dabei geht es um ein dreistufiges Verfahren, Konflikte, die innerhalb einer Gemeinschaft auftreten, zu klären. Es ist das Einüben in Beziehungssensibilität und in eine gemeinsame Beurteilung von strittigen Fragen. Idealerweise geht es nicht darum, andere zu Recht zu weisen, sondern als ganze Gemeinschaft anhand der Bibel zu lernen.
Die meisten der reformatorischen Täufer haben den Gebrauch des Schwertes grundsätzlich abgelehnt. Sie waren nicht gegen weltliche Obrigkeit, wollten sich aber nicht an einer derartigen „Regierung nach dem Fleisch“ beteiligen. Solche pazifistischen Positionen waren noch bis ins 20. Jahrhundert strafbar. Wenn wir versuchen, die gesamte Kirchengeschichte zu überblicken, dann begegnen uns vier Grundpositionen zum Krieg: (1) Kreuzzüge und Präventivkriege, (2) der gerechte Krieg, (3) christlicher Pazifismus und (4) gewaltfreier Widerstand. In heutiger Zeit geht es auf ökumenischer Ebene nicht mehr um die Kriterien für einen gerechten Krieg, sondern um den Einsatz für einen gerechten Frieden.
Ausgehend von Römer 13, 1 „Jedermann sei untertan der Obrigkeit“ wurde in der Reformationszeit der Widerstand der Untertanen überwiegend als Rebellion gegen Gott gedeutet. Wenn man aber den Vers 4 als Korrektiv dazu nimmt, in dem darauf verwiesen wird, dass die Obrigkeit „Gottes Dienerin“ ist, lässt sich daraus ein Widerstandsrecht ableiten. Sobald sich also eine Obrigkeit nicht dem Willen Gottes gemäß verhielt, durfte sie kritisiert oder sogar abgesetzt werden. Die Verlängerungen der unterschiedlichen Betonungen lassen sich bis in das 20. Jahrhundert hinein verfolgen.